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12. September 2022

Aron Stiehl: »Richard Wagner ist ja wie eine Droge«

Aron Stiehl, Intendant des Stadttheaters Klagenfurt, inszeniert Wagners Siegfried. Ein Gespräch über den Witz in der Oper, Kärntner Bezüge, die Energiekrise und echte Wagnerianer.

von Marianne Fischer/Kleine Zeitung

Zu Richard Wagners Zeiten war der Siegfried der beliebteste Teil des „Rings“. Woran könnte das liegen?
Aron Stiehl: Wagner hat den Siegfried als Scherzo gedacht und tatsächlich gibt es da viel Witz in der Oper. Siegfried ist keine bierernste deutsche Oper, sondern eher österreichisch durch den Humor und den Schalk (lacht).

Wo findet man den?
Nun, Siegfried ist ja nicht dumm, er ist nur naiv. Aber wenn er versucht, auf seiner Flöte zu blasen und merkt, das funktioniert nicht gut, dann hat das schon komödiantische Elemente. Oder wenn der Mime kocht, während Siegfried das Schwert schmiedet – das hat Witz, wenn Mime seine Eier zerschlägt und den Sud braut. Und wir haben Kärntner Bezüge eingebaut.

Welche?
Die Vroni (Anm.: Veronika Salcher, Wirtin des Theatercafes, das dem Stadttheater gegenüber liegt) tritt als Figur auf, sie ist unser Vorbild für die Erda. Der Brockhaus aus dem Theatercafe kommt vor als das »ewige Wissen« und auch das bunte Fenster an der Rückseite, das vom Künstler Günther Kraus gestaltet wurde. Und ich habe die Ausstatter immer durch den Wald am Kreuzberg gejagt und da haben wir unsere Inspiration geholt. Es gibt dort natürlich auch Waldsterben und der Umgang mit der Natur ist ja auch Thema im Ring: Wotan hat aus der Quelle der Weisheit getrunken und die ist versiegt. Und den Speer hat er aus der Weltesche gebrochen und die ist verdorrt. Der Mensch geht nicht verantwortungsvoll mit der Natur um.

Aber Siegfried ist anders, er ist reinen Herzens und damit eine Hoffnungsgestalt. Oder?
Siegfried ist der reine Tor. Mime, der ihn erzieht und der beste Schmied aller Zeiten ist, kann das mächtige Schwert Notung nicht zusammenschweißen. Ihm fehlt einfach die Utopie dafür. Siegfried dagegen zerraspelt die Teile von Notung und schmiedet das Schwert daraus neu. Wagner wollte damit sagen: Die ganze Gesellschaft ist so krank, dass wir sie zerstören und von Grund auf neu aufbauen müssen. Und auch wir stehen an dieser Zeitenwende, die uns allen Sorgen macht. Ich frage mich: Wie schaut es im Winter aus, wenn die Leute nicht mehr wissen, wie sie heizen sollen und ihre Sachen bezahlen sollen? Dann werden sie sich fragen: Was gehen mich eigentlich die Leute in der Ukraine an? Und die Putin-Versteher werden weiter Zulauf haben. Frei nach Brecht: Erst kommt das Fressen, dann die Moral.

Wie wird denn das Theater mit der Energiekrise umgehen?
Das ist ein großes Problem. Allein bei der Energie haben wir Kostensteigerungen von dreißig Prozent. Auch die Materialkosten – Stahl, Holz, Stoffe etc. – werden ungemein höher. Wir machen Kalkulationen für Bühnenbilder und in drei, vier Wochen ist das schon wieder überholt. Das hat es noch nie so gegeben.

Gibt es schon Pläne, wie man Energie spart? Die Temperatur im Haus senken?
Wir arbeiten gerade an Konzepten. Wir sind natürlich alle angehalten, die Heizung nicht so hoch aufzudrehen. Das Haus wird abends nicht mehr angestrahlt. Aber Sparen geht nur bis zu einem gewissen Grad: Die Zuschauer dürfen auch nicht frieren.

Auch das Publikum kehrt eher zögerlich in die großen Kulturhäuser zurück. Wie geht es dem Stadttheater damit?
Wir kämpfen wie jedes Haus, wobei es bei uns noch nicht ganz so schlimm ist. Bei den Konzertabos haben wir sogar eine Steigerung, das liegt an unserem Chefdirigenten Nicholas Milton, der sehr populär ist und unterhaltsam moderiert. Aber ja, wir müssen uns bemühen, Publikum zurückzubekommen. Ich habe mit Intendantinnen und Intendanten telefoniert und die berichten von Zahlen, die unterirdisch sind. Die Semper-Oper in Dresden, die normalerweise eine Auslastung über 90 Prozent hatte, liegt bei unter 40 Prozent. Auch in Wien haben die Häuser über zehn Prozent der Abonnenten verloren, das Burgtheater liegt bei einer Auslastung von 61 Prozent, wir sind in Klagenfurt bei 72 Prozent. Damit haben wir rund acht Prozent verloren, sind aber im Vergleich noch Spitzenreiter bei der Auslastung.

Wie versuchen Sie, Abonnenten zurückzugewinnen?
Wir rufen gerade die Leute an, die das Abo nicht mehr nehmen wollten und da kommen viele wieder zurück. Aber die Menschen haben Angst: Was ist mit Corona? Letzte Spielzeit sind viele Vorstellungen ausgefallen und die Abos mussten ständig verlegt werden – das war auch frustrierend. Und natürlich müssen die Leute sparen in diesen Zeiten der Inflation.

Traditionell war in Klagenfurt immer die Oper sehr beliebt. Ist es noch immer so, dass sich Opernkarten besser verkauften als Schauspielkarten?
Ja, das ist immer noch so. Obwohl im letzten Jahr auch das Schauspiel sehr gut gelaufen ist. Beim Franz-Wurst-Stück Nicht sehen waren die Vorstellungen am Ende zu 100 Prozent ausgelastet und wir hätten noch mehr Karten verkaufen können. Jetzt lassen wir uns überraschen, wie es mit Siegfried losgeht.

Die Oper dauert inklusive von zwei Pausen fünf Stunden, da braucht man schon einiges an Sitzfleisch. Denkt man da nicht auch an Kürzungen?
Ich bin ja immer für Striche, aber das geht bei Siegfried nicht, das ist total durchkomponiert. Man kann bei Tristan streichen und bei Tannhäuser, aber beim Ring gibt es kaum etwas. Aber es hat dann ja auch etwas von einem Gottesdienst und wenn es kurzweilig gemacht ist, vergehen die fünf Stunden wie im Flug. Aber ich muss zugeben: Ich habe selber schon in Siegfried-Produktionen gesessen, da habe ich gedacht: Um Gottes Willen, das hört ja gar nicht auf. Wenn Siegfried gut ist – und ich habe das unter anderem in Bayreuth bei Harry Kupfer gesehen – dann ist das sehr unterhaltsam. Und ich hoffe, das wir das beweisen können. Das Interesse ist jedenfalls auch bei den Wagnerianern da: Es gab schon Kartenbestellungen aus Wien.

Was zeichnet denn eigentlich einen echten Wagnerianer aus?
Dass man nicht nur für eine Vorstellung Karten kauft, sondern gleich für drei oder vier. Ich bin früher selber jedes Jahr nach Bayreuth gefahren und mein Rekord waren zwölf Vorstellungen hintereinander. Wagner, das ist ja wie eine Droge, genial, aber irgendwann einfach zu viel. Heute bin ich nicht mehr ganz so fanatisch, sondern ein bisschen abgeklärter. Ich höre zuhause mittlerweile lieber so gesunde Musik wie Bach. Aber durch den Abstand kann man den Wagner besser inszenieren.