Wie konnten Methoden der Heilung und Therapie jahrzehntelang zum Missbrauch an Kindern und Jugendlichen genutzt werden? Die Antwort lautete: durch Ignoranz, Gleichgültigkeit und institutionalisiertes Wegsehen … Das Sichtbare und das Unsichtbare sowie die Möglichkeit, davon zu erzählen, stehen im Mittelpunkt von Noam Brusilovskys dokumentarischer Inszenierung Nicht sehen, die ab 07. April 2022 am Stadttheater Klagenfurt gezeigt wird. Der Regisseur und die Dramaturgin Lotta Beckers suchten für das Projekt die Orte der Gewalt in Kärnten auf, um sich darüber dem Fall Franz Wurst zu nähern. Der Täter steht dabei nicht im Mittelpunkt der künstlerischen Auseinandersetzung.
Was konntet ihr bereits für Nicht sehen erarbeiten?
Noam Brusilovsky: Wir lernen gemeinsam mit unserem Projektteam die Stadt und auch Leute kennen, die potenzielle Performer*innen an diesem Abend werden könnten. Wir hatten viele interessante Begegnungen und es sind wertvolle Interviews entstanden. Die Inszenierung soll eine Stadtführung durch Klagenfurt werden, die wir hier auf der Bühne zeigen.
Welche Rolle spielen Kinder in dieser Inszenierung?
Noam Brusilovsky: Ich halte Kinder für Expert*innen und möchte ihnen einen Raum geben, wo sie ihre Gedanken, Fantasien, Ängste und Wünsche aussprechen dürfen. Für mich ist Theaterarbeit keine literarische Arbeit, sie entsteht vielmehr in der Begegnung mit anderen Menschen. Die Texte sollen zum Teil auch von den Kindern selbst geschrieben werden. Wir arbeiten aber auch mit Zitaten aus der Presse und aus literarischen Werken.
Lotta Beckers: Es ist wichtig zu betonen, dass die Kinder nicht die Opfer auf der Bühne sind. Sie sind diejenigen, die den Blick zurück werfen und auch die kommende Generation repräsentieren
und fragen: »Wie kann man Dinge anders machen?«
Noam Brusilovsky: Greta Thunberg hat gesagt »We’ll be watching you!« – Dieser Satz hat uns sehr inspiriert. Was bedeutet es, von der nächsten Generation überwacht zu werden?
Wie kam es zur Entstehung dieses Projekts?
Lotta Beckers: Das ganze Projekt wurde angeregt von Prof. Dr. Ulrike Loch, die eine Studie zum Thema Gewalt an Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Heilpädagogik in Kärnten durchgeführt hat. Dabei hat sie mit Astrid Liebhauser, Staatsanwältin und Vorsitzende der Opferschutzkommission, zusammengearbeitet. Wir fragen uns, wie es sein konnte, dass über so lange Zeit zugleich großes Schweigen und Bekanntheit über diesen Fall herrschten. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns mit dem Theater als Ort, an dem man schaut.
Noam Brusilovsky: Leute zu kritisieren und zu beschuldigen ist sehr einfach. Viel wichtiger ist es aber, mit diesem Stückauftrag eine Wunde zu heilen, indem man die Wunde erst mal zeigt.