Sie sind vor knapp einem Jahr von Berlin nach Klagenfurt gezogen. Fühlen Sie sich hier schon zu Hause?
Aron Stiehl: Ja! Ich habe in diesem Sommer extra in Kärnten meinen Urlaub verbracht, um Land und Leute besser kennenzulernen. Ich war am Weissensee und habe auch Ausflüge unternommen, unter anderem in die Tscheppaschlucht.
Haben Sie auch Sommertheater besucht?
Ich war beim Rossini-Festival im Bad Wildbad, in Maria Wörth auf der Seebühne, geplant ist ein Besuch im Schloss Porcia. Genossen habe ich auch die klassischen Konzerte im Burghof und den Carinthischen Sommer. Klagenfurt hat, gemessen an seiner Größe, eine beeindruckende freie Szene und eine hohe Qualität bei seinem Angebot.
Was fehlt Klagenfurt, aus Ihrem kulturellen Blickwinkel, um lebenswerter zu sein?
Ich denke, eine Stadt in dieser Größe sollte eine Bibliothek und eine Studiobühne haben.
Kurz nach Ihrem Umzug fing ein sehr langer Lockdown an, wie war das für Sie persönlich? Haben Sie neue Hobbys entdeckt?, Haben Sie angefangen, Brot zu backen?
Das nicht. Aber ich war froh, zu dieser Zeit nicht mehr in Berlin zu leben. Der Lockdown hat etwas mit den Menschen in der Großstadt gemacht. Es gab ein sehr hohes Aggressionspotenzial. Hier habe ich die Natur genießen können, jeden Tag bin ich mit meinem Hund Moses bis zu zwölf Kilometer auf dem Kreuzbergl gewandert. Das war mein Ausgleich, um Stress abzubauen, den ich auch jetzt beibehalten habe. Die beruflichen Anfänge, mit der großen Ungewissheit, ob wir spielen dürfen, waren für mich sehr schwierig.
Nehmen Sie auch Positives aus dieser Zeit mit?
Wir sind vermisst worden, das hat man an den ersten Vorführungen von »Il Barbiere di Siviglia« und »Vogelhändler« gemerkt. Diese waren allesamt ausverkauft. Das stimmt uns positiv auf die neue Saison.
Denken Sie, dass sich das Theaterpublikum verändern wird? Durch die Corona-Pandemie haben viele finanzielle Einbußen erlitten, nicht alle fühlen sich bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen wohl …
Mit Ende August starten unsere Abo-Verkäufe. Wir haben eine große Abo-Dichte, um die 4000 werden jedes Jahr verkauft. Wir haben große Angst, dass sich die Corona-Pandemie auf den Verkauf auswirken wird. Wir sind sehr bemüht, unsere Abonnenten zu halten.
Welche Aufgabe hat ein Theater in der heutigen Zeit?
Die Aufgabe hat sich nicht verändert. Das Theater muss die Leute mitnehmen und verführen. Es geht darum, dass die Menschen sich mit sich selbst und den existenziellen Fragen des Lebens beschäftigen. Man fragt sich nach dem Sinn und Unsinn des Lebens. Man fragt sich, was hat die Pandemie mit uns gemacht. Warum ist da eine Spaltung in der Gesellschaft passiert? Warum glauben so viele Menschen, dass die Wahl in Amerika gestohlen wurde. Hier gibt es eine große Sehnsucht nach einer einfachen Wahrheit. Da muss das Theater, da muss die Kultur ran und diese Spannung aufdecken.
Hat sich der Stellenwert der Kultur durch die Corona-Pandemie verändert?
Es ist zu früh, um ein Resümee zu ziehen. Noch ist die Pandemie nicht vorüber. Was man bis jetzt sieht, ist, dass die Pandemie, etwa bei der Frage nach der Impfung, Menschen und zum Teil sogar Familien, entzweit hat. Was mir Sorge bereitet, ist, dass das Individuum gegenüber der Gesellschaft immer größer geschrieben und vermehrt irrational gedacht wird.
Sie greifen im neuen Programm zwei brisante Kärntner Themen auf, den Fall Franz Wurst und die Freisler-Prozesse, über die viel zu lange ein Deckmantel des Schweigens gelegt wurde. Ist es Ihnen wichtig, Kärntner Themen auf die Bühne zu bringen?
Unbedingt! Dafür ist das Stadttheater da. Wir machen Theater für die Kärntnerinnen und Kärntner. Wenn ich in Kärnten unterwegs bin, frage ich immer wieder, was die Menschen sehen wollen. Mir ist es wichtig, dass wir kein Haus für die Elite sind. Das Theater ist für alle da.
Welchen Schwerpunkt streben Sie als Intendant fürs Stadttheater Klagenfurt an?
Ich möchte den Alpen-Adria-Raum, in dem sich Klagenfurt befindet, einbeziehen. Sei es durch Werke oder durch die Zusammenarbeit mit Künstlern aus der Region.
Welche Werke möchten Sie in Ihrer Zeit in Klagenfurt unbedingt zeigen?
Den »Ring des Nibelungen« von Richard Wagner, der am 16. September mit »Der Walküre« Premiere feiert. Das Stück könnte nicht aktueller sein, es handelt von Politik, Machtmissbrauch, und dem Beginn der Schöpfung bis zur Zerstörung. Es ist mir auch ein Anliegen, mich mit »die Vögel« von Walter Braunfels zu beschäftigen. Die Oper, die von den Nazis verboten wurde, ist beinahe in Vergessenheit geraten. Sie ist aber eine ausgezeichnete Parabel über die Menschheit und das Zusammenleben.